Die kleinen Inseln der leisen Töne

Estland verfügt mit Tallinn nicht nur über eine sehr schmucke Hauptstadt, das Land hat auch für Naturfans viel zu bieten. Auf den verträumten Inseln Muhu und Saaremaa lässt es sich perfekt entspannen.

Schweizer Touristen haben den Kleinstaat Estland am finnischen Meerbusen längst entdeckt: Immer mehr zieht es in das nördlichste Land des Baltikums. Rund drei Viertel der Besucher reisen in die Hauptstadt Tallinn – und das mit gutem Grund: Sie gilt als die am besten erhaltene Hansestadt an der Ostsee und wurde daher im Jahr 1997 auf die Unesco-Liste des Weltkulturerbes gesetzt. In diesem Jahr lohnt es sich noch aus einem weiteren Grund, die liebevoll restaurierte Altstadt zu besuchen. Neben der finnischen Stadt Turku ist Tallinn 2011 Kulturhauptstadt Europas (www.tallinn2011.ee). Dennoch, wer Estland besucht, sollte das touristische Magnet nach einigen Tagen verlassen und sich auf den estnischen Inseln Muhu und Saaremaa ein paarTage Ruhe und Erholung gönnen. Saarema ist die grösste der über 1500 estnischen Inseln.Wer diese Perle in der Ostsee einmal entdeckt hat, bleibt am liebsten für immer – so wie das deutsche Aussteigerpaar Birgit Kutzera und Andreas Wittke. Sie haben auf dem nur wenige Stunden von Tallinn entfernten Eiland ein neues Zuhause gefunden. Gemeinsam produzieren sie auf ihrem von grünen Wiesen und dichtem Wald umgebenen Bauerhof Senf- und Chutney-Spezialitäten (siehe http://mustjala-mustard.de). Das Paar hat den Hof aus gutem Grund gekauft: «Die Natur ist auf Saaremaa an vielen Orten noch weitgehend unberührt. Zudem geniessen wir hier viel Ruhe.» tDiese finden die beiden auf der Insel zu Genüge, und das hat einen einfachen Grund: Drei Viertel der estnischen Wohnbevölkerung lebt in Tallinn. Trotz eines Lebens inAbgeschiedenheit hat das Paar denAnschluss an die grosse weite Welt aber geschafft: «Mittlerweile verkaufen wir unseren Senf auch per Internet-Shop», sagt Kutzera stolz. Dank guterAnbindung ans Festland klappt auch der Warentransport. Saaremaa ist mit der benachbarten Insel Muhu durch einen befahrbaren Damm verbunden. Und von der Ostküste vonMuhu bestehen regelmässige Fährverbindungen zum estnischen Festland.

Ein hölzerner Blickfang am blauen Himmel

Einige Kilometer von der Senfproduktionsstätte entfernt, steht eine rote Kirche verloren in der Landschaft. «Die kreuzförmige Kirche in Metsküla ist die einzige orthodoxe Kirche aus Holz auf Saaremaa», erklärt der 75-jährige Olev Oun auf Estnisch mit dem typischen Akzent eines Saaremaa-Insulaners. Petrus hat Gnade mit uns Kirchenbesuchern: Der Himmel ist strahlend blau, und es ist ein für nordische Breitenlagen ungewöhnlich warmer Sommertag. Der Gesichtsausdruck des gottesfürchtigen Olev machen jedem Ungläubigen klar: Er ist mächtig stolz auf diese hölzerne Kirche, die sein Grossvater 1911 mit eigenen Händen erbaut hat. Olev pflegt und hegt sie täglich und legt auch in seinem hohem Alter jedenTag mehrere Kilometer per Fahrrad von zu Hause bis zum Gotteshaus zurück. Im engen Innenraum der Kirche entsteht auch während den Sommermonaten kein Gedränge. «Die Kirche lockt einmal pro Monat rund drei bis vier Gläubige zum Gottesdienst», sagt Olev. Für die Predigt komme jeweils der orthodoxe Priester aus der Inselhauptstadt Kuressaare angereist. Ein Gesetz schreibe vor, dass der Priester auch dann erscheinen müsse, wenn nur ein einziger Gläubiger anwesend sei. «Und ich bin ja immer da», sagt Olev. Das geringe Interesse an einem Besuch einer orthodoxen Kirche auf Saaremaa ist verständlich. Religion war während des Kommunismus gemäss Staatsdoktrin Opium fürs Volk und daher verboten. Hinzu kommt, dass die estnischsprachigen Bewohner des baltischen Staates während der russischen Besatzung mehrheitlich dem evangelisch-lutherischen Glauben angehörten, was auch heute noch so ist. Nur etwa 1,2 Prozent der 36 000 Einwohner sind russischerAbstammung und somit der russisch-orthodoxen Kirche zugehörig. Kuressaare, der Hauptort von Saaremaa, ist heute ein Kurort mit mediävalem Flair. Die dominante Bischofsburg mit ihrem Park und den Wassergräben ist bestens erhalten und bietet im Sommer genügend Platz für klassische Konzerte. Touristen, die sich mit Armbrust oder Pfeilbogen bewaffnet ins Mittelalter zurückversetzen lassen wollen, kommen hier voll auf ihre Kosten. Ein Höhepunkt für jeden Besucher des Eilands sind zudem die gut erhaltenen Windmühlen von Angla. Und auch der Kali-Meteoritenkrater ist ein Naturdenkmal, das in Europa seinesgleichen sucht. Viele alte, mittlerweile renovierte Herrenhäuser zeugen sowohl auf Saaremaa wie auf Muhu von der reichen Besatzungsgeschichte des baltischen Kleinstaats. Ein herausragendes Juwel ist das verträumte Luxushotel «Pädaste Manor» auf Muhu. Das «Small Luxury Resort & Spa» liegt in einem idyllischenAnwesen aus dem 16. Jahrhundert mit weitläufigem Park. Das Herrenhaus mit seinen Nebengebäuden aus Granit ist Estlands schönstes Hotel und Muhu ein verzaubertes Fleckchen Erde. Hinter dem weitläufigen Hotelpark blitzt die Ostsee bis spät in die Nacht – in Estland wird es im Sommer dank Mitternachtssonne kaum dunkel. Menschen mit einem Gehör für leiseTöne und Lust auf Ruhe sind hier glücklich. Und auch Gourmets kommen in aller Abgeschiedenheit voll auf ihreKosten: Das hoteleigene Restaurant wurde 2009 zum besten Restaurant Estlands erkoren – zu Recht, wie sich zeigt.

Touristen vomTyp Robinson Crusoe, die viel Ruhe und Natur abseits touristischer Trampelpfade suchen, werden auf Muhu und Saaremaa ihr Paradies finden. Und sie werden vielleicht ein Pferd satteln oder mit einer Jolle zu einer kleinen Nachbarinsel segeln oder sie werden in einem Bottich mit warmem Wasser direkt am Meer ein Buch lesen und die Seele baumeln lassen.

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